Deutscher Gewerkschaftsbund

16.03.2023
#schlaglicht 10/2023

Tarif. Gerecht. Für alle. Aktionsplan gegen Tarifflucht

Tarifverträge sichern gute Bezahlung, verhindern Schmutzkonkurrenz und steigern die Produktivität. Allerdings begehen viele Betriebe Tarifflucht. Um dem entgegenzuwirken, fordert das #schlaglicht 10/2023 einen Aktionsplan, der in Niedersachsen Tarifbindung zum Kriterium bei öffentlichen Aufträgen und in der Wirtschaftsförderung macht.

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Teaser Tarifvertrag

DGB

Den Anfang haben im letzten Jahr die Chemiebranche und die Metall- und Elektroindustrie gemacht, nun hat auch die Post nachgezogen. In den kommenden Wochen soll es dann auch im öffentlichen Dienst, bei der Deutschen Bahn und im Kfz-Handwerk so weit sein: Die Gewerkschaften und ihre Mitglieder setzen sich im Rahmen ihrer laufenden Tarifrunden für höhere Löhe und Inflationsprämien ein, um die von hohen Energie- und Lebensmittelkosten getriebenen Preissteigerungen für die Beschäftigten aufzufangen.

Betriebe drücken sich vor Tarifbindung

Das Problem: Weil es viele Arbeitgeber mit der Verantwortung für die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie nicht mehr so genau nehmen, ist der Geltungsbereich von tariflichen Regelungen seit Jahren rückläufig. Durch fortlaufende Tarifflucht genießen in Niedersachsen nur noch 52 Prozent der Beschäftigten den Schutz eines Branchen- oder Haustarifvertrags (siehe Diagramm). Unterdurchschnittlich fällt die Tarifbindung unter anderem im Einzelhandel, dem Handwerk und im Gastgewerbe aus.

Arbeitgeber bleiben Antworten schuldig

Obwohl Tarifflucht große Nachteile mit sich bringt, etwa schlechtere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, Wettbewerbsverzerrungen, eine geringere Produktivitätsentwicklung und Steuerausfälle, haben die Arbeitgeberverbände außer dem Prinzip Freiwilligkeit nicht viel zu bieten. Schlimmer noch: Sie erlauben Betrieben eine Verbandsmitgliedschaft, ohne dass sie sich an die ausgehandelten Tarifverträge halten müssen (OT-Mitgliedschaft). Letztens verstieg sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sogar zu der Behauptung, dass ein eingeschränktes Streikrecht zur Stärkung der Tarifbindung beitragen könnte (hier). Was darf Satire?

Grafik "Tarifbindung von Beschäftigten in Niedersachsen"

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EU-Mindestlohnrichtlinie gibt Richtung vor

In Anbetracht dieser negativen Folgen und dem Unwillen der Arbeitgeberseite ist politisches Handeln erforderlich. Die im Oktober 2022 eingeführte Mindestlohnrichtlinie der Europäischen Union (EU) sieht neben angemessenen Mindestlöhnen vor, dass die Mitgliedsstaaten jeweils nationale Aktionspläne mit konkreten Maßnahmen zur Förderung der Tarifbindung erstellen müssen, wenn diese bei ihnen unter 80 Prozent liegt. Zur Umsetzung gilt ein Zeitrahmen von zwei Jahren.

Allgemeinverbindlicherklärung reformieren

Um die Vorgaben zu erfüllen, ist eine zweigleisige Strategie aus bundes- und landespolitischen Instrumenten gefragt. Auf Bundesebene bedarf es der Reform der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE). Zurzeit verhindern die Arbeitgeber per Vetorecht im Tarifausschuss, dass Tarifverträge sich über alle Betriebe einer Branche erstrecken können. In Zukunft muss dafür eine Mehrheit notwendig sein. Außerdem ist die Möglichkeit von OT-Mitgliedschaften abzuschaffen.

Öffentliches Geld nur bei Tarif

In Niedersachsen muss die Landesregierung ihren Beitrag für eine höhere Tarifbindung leisten. Ein verbessertes Vergabegesetz hat sicherzustellen, dass Land und Kommunen öffentliche Aufträge, und damit öffentliches Geld, nur an Betriebe vergeben, die sich an die einschlägigen Tarifverträge halten. Gleiches gilt auch für die milliardenschwere Wirtschaftsförderung. Wenn Firmen aus den verschiedenen Töpfen Mittel beziehen möchten, müssen Gute Arbeit und Tarifbindung wesentliche Kriterien sein. Wider die Tarifflucht!