Ein neues Jahrzehnt beginnt. Doch nicht für alle Werktätigen in Niedersachsen ist es verheißungsvoll. Seit vielen Jahren sinkt die Tarifbindung. Darunter leiden nicht nur die Beschäftigten, sondern auch alle anständigen Arbeitgeber und sogar der Staat. Wie eine Allianz für gute Arbeit da helfen kann, verrät das #schlaglicht Nummer 01/2020.
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Holger de Vries/AdobeStock
Es gibt Themen, die trotz ihrer Historie weder an Aktualität noch an Relevanz verlieren: Dazu gehört ganz zweifellos die Sozialpartnerschaft. Wohl kaum eine Institution hat in Deutschland in so hohem Maß zur Stabilität und zum sozialen Frieden beigetragen. Was 1918 mit dem Stinnes-Legien-Abkommen begann, mündete in der Weimarer Republik in die ‚Verordnung über Tarifverträge‘ und in der Bundesrepublik ab 1949 in das erste Tarifvertragsgesetz. Wichtige Meilensteine auf dem Weg zur sozialen Marktwirtschaft.
Das sozialpartnerschaftliche Kernstück sind zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelte Tarifverträge. Für gute Arbeit sind sie schlicht das A und O. Ganz besonders offensichtlich wird das beim Gehalt: Mit Tarifvertrag landen bei niedersächsischen Vollzeitbeschäftigten im Schnitt rund 300 Euro mehr auf dem Konto. Allein 2019 haben die Tariflöhne um durchschnittlich 3 Prozent zugelegt (siehe Grafik). Damit setzt sich der positive Trend der vergangenen Jahre weiter fort. Davon profitieren aber nicht nur die Beschäftigten, denn die höheren Einkommen wirken gleichzeitig stabilisierend gegen mögliche konjunkturelle Eintrübungen!
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Doch Fakt ist: Höhere Löhne kommen längst nicht bei allen Beschäftigten an. Denn seit fast zwei Dekaden lässt sich beobachten, dass immer weniger Beschäftigte ein tarifvertraglich abgesichertes Arbeitsverhältnis haben. Diese Entwicklung ist auch an Niedersachsen nicht vorbeigegangen: 2002 waren noch 76 Prozent der niedersächsischen Beschäftigten durch einen Tarifvertrag geschützt. Aber weil sich viele Arbeitgeber durch Verbandsflucht aus der Tarifbindung davonstehlen, ist ihre Zahl bis 2018 auf nur noch 60 Prozent gesunken. Als unmittelbare Folge wird der Wettbewerb häufig nicht mehr über Produktivität und innovative Ideen, sondern über Lohndumping ausgetragen. Die Zeche dafür müssen die Beschäftigten und alle fairen Arbeitgeber, die sich an Tarifverträge halten, gleichermaßen zahlen.
Dritter im Bunde ist der Staat. Durch Tarifflucht entgehen ihm riesige Einnahmen. Bei einer Tarifbindung von 100 Prozent könnte sich der niedersächsische Finanzminister über fast 800 Millionen Euro mehr an Steuereinnahmen freuen. Über drei Milliarden Euro würden in die Sozialversicherungen gespült. Aber nicht nur das: Wenn Arbeitgeber von guter Bezahlung nichts wissen wollen, muss die öffentliche Hand Löhne aufstocken. Wenn das Einkommen zu gering ist und die Mieten durch die Decke schießen, müssen Steuerzahler Wohngeld zuschießen. Und die Grundrente korrigiert soziale Schieflagen, wenn Menschen trotz jahrelanger harter Arbeit nicht genug in die Rentenkasse einzahlen konnten.
Kurzum: Tarifflucht kommt uns alle teuer zu stehen. Deshalb dürfen wir dieser Entwicklung nicht länger tatenlos zusehen. Beschäftigte, anständige Arbeitgeber, der Staat und soziale Sicherungssysteme dürfen nicht die Leidtragenden der Lohndrückerkolonnen sein. Alle gesellschaftlichen Kräfte müssen Flagge zeigen und sich zu einer Allianz für gute Arbeit zusammenschließen. Damit Tarifverträge als deren Garant wieder Vorfahrt haben. Damit Arbeit ihre Würde wieder zurückbekommt. Ein richtig guter Vorsatz für das neue Jahr!
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