Bezahlen Betriebe nicht nach Tarif, kommt dies die Beschäftigten und die Allgemeinheit teuer zu stehen. Allein in Niedersachsen entstehen dadurch beim Fiskus, den Sozialversicherungen und in den Einkommen Fehlbeträge im Milliardenbereich. Das #schlaglicht 37/2021 fordert politische Maßnahmen, um die Tarifbindung zu stärken.
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Zwei Beschäftigte sind im gleichen Wirtschaftszweig tätig. Sowohl ihre Qualifikation als auch ihre Berufserfahrung sind identisch. Und beide haben jeweils eine Vollzeitstelle inne. Trotzdem stehen bei einem der beiden zum Monatsende 1.200 Euro weniger oben auf der Gehaltsabrechnung. Wie lässt sich diese große Differenz erklären? Ziemlich einfach: So hoch fällt der durchschnittliche Lohnrückstand im verarbeitenden Gewerbe aus, wenn Beschäftigte nicht nach den Konditionen eines Tarifvertrages bezahlt werden. Weniger Geld für die gleiche Arbeit ist das Ergebnis.
Die Sozialpartnerschaft ist eine tragende Säule der bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Sozialordnung. Ihr Kernstück sind zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelte Flächentarifverträge. Sie gewährleisten, dass Beschäftigte und Betriebe gleichermaßen am erwirtschafteten Wohlstand teilhaben. Dieser Konsens ist aber zunehmend brüchig, weil sich viele Arbeitgeber durch Tarifflucht ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. In Niedersachsen ist die Tarifbindung seit Jahren tendenziell rückläufig. Nur noch 54 Prozent der Arbeitsverhältnisse sind tariflich geregelt.
Für Beschäftigte ohne Tarif entstehen schwere Nachteile. Nirgendwo wird dies deutlicher als bei der Bezahlung: Im Schnitt haben niedersächsische Beschäftigte mit Tarifvertrag jährlich 3.905 Euro netto mehr auf dem Konto! Bei einer flächendeckenden Tarifbindung würde insgesamt ein Lohnzuwachs von 6,3 Mrd. Euro entstehen. Viele Menschen könnten dieses zusätzliche Einkommen für ihren persönlichen Lebensunterhalt sehr gut brauchen.
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Tarifflüchtige Arbeitgeber halten jedoch nicht nur auf Kosten der Beschäftigten die Hände auf. Auch der Allgemeinheit entsteht durch Lohndumping ein riesiger Schaden. Die Ausfälle bei der Einkommensteuer belaufen sich in Niedersachsen für Kommunen, Land und Bund auf 3 Mrd. Euro. Mindereinnahmen von 4,6 Mrd. Euro haben die Sozialversicherungen zu beklagen. Zusammen mit der eingebüßten Kaufkraft liegt der Gesamtverlust durch Tarifflucht bei 13,9 Mrd. Euro (siehe Grafik). Diese Mittel wären viel besser angelegt, wenn sie die Binnenwirtschaft stärken, Zukunftsinvestitionen anschieben und den sozialen Ausgleich sichern würden.
Geschädigt werden aber nicht zuletzt auch alle anständigen Arbeitgeber, die sich an Tarifverträge halten. Diese sorgen für fairen Wettbewerb, indem sie allen Betrieben in einer Branche gleiche und transparente Lohnstrukturen garantieren. Wer sich davor drückt, verschafft sich einen unlauteren Vorteil durch Schmutzkonkurrenz!
Fazit: Tarifflucht ist keine Bagatelle. Niedersachsen entgehen Milliarden. Mehr Anstand ist auf Seiten der Arbeitgeber gefragt. Gleichzeitig muss auch die Politik ihren Beitrag leisten. In Bund und Land darf bei öffentlichen Aufträgen kein Cent Steuergeld fließen, wenn Betriebe nicht tarifgebunden sind. Im Falle einer Auf- oder Abspaltung eines Unternehmens sollten Tarifverträge bis zur Neuregelung fortgelten. Zudem muss die Allgemeinverbindlicherklärung erleichtert werden. Davon würde die breite Mehrheit profitieren.