Das Armutsrisiko hat in Niedersachsen während der Corona-Krise einen Höchststand erreicht. Allerdings ist es auch schon in den Vorjahren trotz guter Konjunktur angestiegen. Die zukünftige Bundesregierung macht in ihrem Koalitionsvertrag nun konkrete Vorschläge zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das #schlaglicht 41/2021 nimmt eine erste Einordung vor.
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Nun ist es amtlich: Die neue Regierungskoalition in Berlin will den Mindestlohn zügig auf 12 Euro pro Stunde anheben. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann fiel kurz vor der Bekanntgabe dazu nur ein, dass dieser eine „Spirale der höheren Löhne“ ankurbele. Es ist eine Aussage, die für Stirnrunzeln sorgt. Was ist falsch an besserer Bezahlung? Könnten nicht viele Menschen mehr Geld gut gebrauchen? Wäre es nicht erfreulich, wenn sich ihre tägliche Arbeit auch deutlicher auf dem Konto niederschlägt?
Allem Anschein nach hat der Wirtschaftsminister die Zuspitzung der Ungleichheit überhaupt nicht auf dem Schirm. Gerade in der Corona-Krise gilt: Je kleiner das Einkommen, desto größer die finanziellen Einbußen. Weit mehr als die Hälfte aller Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2.000 Euro hat in der Pandemie bisher Verluste erlitten. Es trifft damit genau jene besonders hart, die schon vorher jeden Cent mehrmals umdrehen mussten.
Entsprechend weitreichend sind die sozialen Folgen. Im Jahr 2020 ist die niedersächsische Armutsgefährdungsquote auf 17,6 Prozent angestiegen. Ein historischer Höchststand! Seit Erfassung der Zahlen wurde niemals zuvor ein solcher Wert gemessen (siehe Grafik). Bezogen auf eine Gesamtbevölkerung von knapp über 8 Mio. Menschen sind insgesamt 1,41 Mio. von ihnen von Armut betroffen. Als arm oder armutsgefährdet gelten Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für eine alleinlebende Person in Niedersachsen liegt die Schwelle bei 1.109 Euro monatlich, für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern sind es 2.330 Euro.
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Beim Armutsrisiko zeigen sich allerdings erhebliche Unter-schiede. Frauen sind wesentlich häufiger bedroht als Män-ner. Ebenfalls überdurchschnittlich vertreten sind Alleiner-ziehende, Kinder, junge Erwachsene, Erwerbslose und Men-schen mit Migrationshintergrund. Dazu geht es auch mit der Altersarmut seit geraumer Zeit stetig aufwärts.
Man darf allerdings diese Entwicklung nicht nur auf Corona schieben. Das Virus ist nicht Ursache, sondern Treiber bereits bestehender Schieflagen. Schon seit Jahren ist die Armutsquote trotz guter Konjunktur nach oben gegangen. Zu lange wurden prekäre Arbeit und Niedriglöhne gefördert, während parallel die Zahl der Beschäftigten, die durch Tarifverträge geschützt werden, sank. Zusätzlich wurde das soziale Netz ausgedünnt und weist Lücken auf.
Wachsende Armut und Ungleichheit sind nicht nur schlimm für die Betroffenen, sondern gefährden auch den gesellschaftlichen Frieden. Es muss also gehandelt werden. Die von der zukünftigen Bundesregierung vorgesehene Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Das sollte auch Wirtschaftsminister Althusmann endlich einsehen. Positiv im vorgelegten Koalitionsvertrag sind daneben die Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen des Bundes, die geplante Kindergrundsicherung und ein stabiles Rentenniveau. Allerdings bleiben bei Tarifbindung, Minijobs und Hartz IV noch Baustellen übrig. Es gibt also weiter einiges zu tun!