Viele Beschäftige – gerade die in den systemrelevanten Berufen – sind am Limit. Doch den Arbeitgeberverbänden reicht das nicht. Sie haben die Gunst der Corona-Krise genutzt, um ihre Interessen durchzusetzen. Das Arbeitszeitgesetz wurde befristet aufgeweicht. Das ist ein Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten. Dieser Verantwortung müssen sich die Arbeitgeber stellen. Und die Bundesregierung muss die gesetzlichen Standards zügig wieder herstellen, fordert das #schlaglicht 15/2020 aus Niedersachsen.
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DGB/Oleg Dudko/123rf.com
Die Politik handelt in der Corona-Krise – wie am gestrigen Tag – verantwortungsvoll. Auch in Niedersachsen. Ministerpräsident Weil erweist sich als professioneller Krisenmanager. Es gibt keine Alleingänge und nur eine maßvolle Lockerung der Beschränkungen. Die bisherigen Erfolge werden nicht durch Wirtschaftsinteressen auf Spiels gesetzt. Denn eine zweite Infektionswelle darf gar nicht erst entstehen.
Ebenso gilt: Der Staat hat – mit gewerkschaftlicher Unterstützung – zügig angepackt und für die Unternehmen einen milliardenschweren Rettungsschirm gespannt. Auf der anderen Seite gibt es verantwortungsvolle Branchen und Betriebe, die für ihre Beschäftigten das zu geringe Kurzarbeitergeld aufstocken. Denn schließlich ist jetzt die Zeit für praktische Maßnahmen und nicht für ideologische Gefechte, oder? Nicht ganz. Zumindest nicht, wenn man sich die Arbeitgeberverbände anguckt. Sie versuchen die Krise zum Teil zu instrumentalisieren, um ihre Partikularinteressen durch Lobbying durchzusetzen. Von Besonnenheit fehlt jede Spur!
Beispiel Arbeitszeit: Das Arbeitszeitgesetz war für die Arbeitgeber seit jeher ein Angriff auf die unternehmerische Freiheit. In Dauerschleife klagen sie über die gesetzlichen Regelungen und suchen den kleinsten Anlass, um sie zu lockern. Zuletzt musste die Digitalisierung herhalten. Aber Fakt ist: Die Beschäftigten leisten – auch unabhängig von Corona – schon unentwegt Mehrarbeit. Allein im letzten Jahr wurden von ihnen 1.926.000.000 Überstunden angehäuft. Die Hälfte davon wurde nicht vergütet (siehe Grafik). Das Arbeitszeitgesetz in der jetzigen Form lässt also genug Spielräume. Trotzdem treiben die Arbeitgeberverbände ideologische Spielchen. In Nordrhein-Westfalen gab es schon vor der Corona-Krise eine Initiative, um über den Bundesrat die tägliche Arbeitszeit auf zwölf Stunden hochzuschrauben. In der jüngsten Vergangenheit waren die Arbeitgeber mit ihrem Anliegen zum Glück auf taube Ohren gestoßen. Bis jetzt zumindest.
DGB
Nun ist ihnen die Bundesregierung entgegengekommen. Mit einer bis zum 30. Juni 2020 befristeten Verordnung werden Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz erlaubt. In bestimmten Fällen sind nun Arbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden täglich und sechzig Wochenstunden zulässig. Ebenso ist eine Verkürzung der täglichen Ruhezeiten enthalten. Betroffen sind ausgerechnet die Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen. Also diejenigen, die Tag und Nacht den Laden am Laufen halten. Wertschätzung geht anders!
Denn klar ist: Nur dank der Beschäftigten hat die Pandemie zu keinen gravierenden Lieferengpässen geführt. Aber viele sind wegen der harten Arbeit am Limit. Die Arbeitgeber müssen deshalb Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten zeigen. Erst wenn andere Maßnahmen ausgeschöpft sind, dürfen sie die Notfallregeln nutzen. Und es gilt: Alle Arbeitszeitregelungen in Arbeits- und Tarifverträgen sowie Betriebsvereinbarungen haben rechtlich weiter Bestand. Die Arbeitgeber dürfen nicht einseitig davon abweichen. Gleichzeitig muss die Bundesregierung eine Verlängerung der Verordnung ausschließen. Die Krise darf keinesfalls dazu dienen, Standards zu schleifen. Gesundheit geht vor Ideologie!
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