Das Handwerk klagt über Fachkräftemangel, aber die Probleme sind hausgemacht. Die Betriebe bilden zu wenig aus und drücken sich zu oft vor Tariflöhnen. Hier ist Umdenken angesagt. Als politische Unterstützung empfiehlt das #schlaglicht 23/2022 aus Niedersachsen eine Ausbildungsgarantie und Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen.
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Es ist wohl kein wirtschaftlicher Bereich so gut durch die Corona-Pandemie gekommen wie das Handwerk. Während es in anderen Branchen massenhaft zu Kurzarbeit, Umsatzeinbrüchen und anderen Problemen kam, liefen die Geschäfte in den handwerklichen Betrieben glänzend. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Nicht nur beim Wohnungsbau, vor allem beim Klimaschutz wird es in den nächsten Jahren mehr als genug zu tun geben. Energetischer Neubau, Dämmung von Gebäuden, Installation von Solaranlagen und Einbau von Wärmepumpen wirken für sich genommen wie ein Konjunkturprogramm.
Nur ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Trotz hervorragender Wirtschaftslage und bester Zukunftsaussichten haben es viele Handwerksbetriebe nicht vermocht, ausreichend Personal an sich zu binden. Beispiel Bauwirtschaft: Nach einer Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gibt es dort bundesweit im Moment 191.000 offene Stellen. Auch sonst werden Arbeitgeber und Handwerkskammern nicht müde und klagen fast schon im Wochenrhythmus über den allgemeinen Fachkräftemangel in ihren Segmenten.
Ist dies der Fall, wäre es logisch, wenn die Betriebe vor der eigenen Tür kehren und für mehr Nachwuchs sowie bessere Arbeitsbedingungen sorgen würden. Aber genau hier hapert es zu oft. Obwohl der Bedarf vorhanden ist, ist die Zahl der Auszubildenden im niedersächsischen Handwerk in der letzten Dekade um ungefähr 7.000 zurückgegangen. Gleichzeitig gehen viele Jugendliche bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer aus. Finde den Fehler!
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Wollen die Arbeitgeber im Handwerk auch zukünftig für die Beschäftigten attraktiv sein, müssen sie sich dem Thema Bezahlung widmen. 70 Prozent der Handwerksbetriebe halten sich nicht an Tarifverträge, womit große Abstriche beim Lohn einhergehen. In Niedersachsen beträgt die Lücke zwischen Vollzeit-Fachkräften im Handwerk und der Gesamtwirtschaft durchschnittlich 500 Euro im Monat (siehe Grafik). Viele Beschäftigte kehren der Branche deshalb schon nach wenigen Jahren wieder den Rücken zu. Es ist insofern reichlich absurd, wenn in der aktuellen Ausgabe der Zeitung Norddeutsches Handwerk den Betrieben unter anderem empfohlen wird, den Beschäftigten statt der notwendigen Lohnerhöhungen lieber steuer- und abgabefreie Gutscheine, Speisen oder private Nutzung von Dienstlaptops anzubieten.
Dabei sollten die Arbeitgeber schon aus Eigeninteresse gegen die personellen Engpässe vorgehen. Ständige Arbeit an der Belastungsgrenze erhöht das Gesundheits- und Unfallrisiko unter den Beschäftigten. Es droht ein Bau-Burnout. Gleichzeitig können die Betriebe die vorhandenen Aufträge und die benötigten Modernisierungsmaßnahmen nicht bewältigen.
Kurzum: Das Handwerk ist und bleibt strategischer Partner der Zukunftsgestaltung, muss aber seine Baustellen bearbeiten. Mehr Ausbildungsplätze und höhere Löhne per Tarif helfen gegen den Fachkräftemangel. Politisch sollte man den Betrieben daher durch die Einführung einer Ausbildungsgarantie und der Vorgabe von Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen unter die Arme greifen. Nur so wird das Handwerk zukunftsfest!